Call: Erfahrungen mit ELSI. Zur Vermessung eines inzwischen weiten Feldes

Workshop.
Erfahrungen mit ELSI. Zur Vermessung eines inzwischen weiten Feldes.

Zeit: 27.29. Mai 2024
Ort:
Studienhaus Gut Schönwag, Schönwag 4, 82405 Wessobrunn

Veranstalter: Zentrum Technik–Theologie–Naturwissenschaften (TTN) an der Ludwig-Maximilians-Universität München und das Institut für Soziologie der Universität Koblenz

Seit dem Human Genome Project führt die Erforschung der ethischen, rechtlichen und sozialen Implikationen (ELSI) von naturwissenschaftlich-technischen Innovationen die Geistes-, Rechts- und Sozialwissenschaften regelmäßig mit den Lebens-, Informations- und Technikwissenschaften zusammen. Angesichts des dortigen rasanten Fortschritts ist ELSI-Forschung heutzutage nicht nur an vielen Stellen tätig. Sie ist mittlerweile auch soweit institutionalisiert, dass entsprechende Programmlinien in der Forschungsförderung als unverzichtbar erscheinen. Ein weiteres Merkmal aktueller ELSI-Forschung ist, dass sie nicht mehr nur bei der Entwicklung bahnbrechender Technologien, sondern auch bei ihrer bereichsspezifischen Implementierung zum Einsatz kommt. Hierbei sind die Forschungsfelder von ELSI so heterogen wie die lebens-, informations- und technikwissenschaftlichen Forschungszusammenhänge selbst: Darunter finden sich medizinische Innovationen wie personalisierte Medizin, Biotechnologien wie genome editing in der Pflanzenzüchtung, für den Alltag gedachte Techniken wie das autonome Fahren, Großtechniken wie die Kernkraft, Digitaltechniken wie Künstliche Intelligenz oder Sicherheitstechniken wie Erkennungssysteme.

Welche unterschiedlichen Erfahrungen ELSI-Projekte machen, ist Gegenstand eines Workshops, der das inzwischen recht weite Feld von ELSI kartieren will, um die grundlegenden Bedingungen und Verläufe von ELSI-Projekten zu ermitteln. Welche Rolle spielt etwa der Inhalt der Forschungsgegenstände? Ergeben sich Unterschiede in der Projekterfahrung, wenn ELSI in grundlagenorientierte oder in anwendungsbezogene Forschung der Lebens-, Informations- und Technikwissenschaften eingebunden ist? Wie wirkt sich die unterschiedlich starke Einbettung der ELSI-Disziplinen in die jeweiligen Forschungszusammenhänge aus – etwa wenn die Ethik wie bei der Medizin auch in berufsständischen Ethikkommissionen eine Rolle spielt oder wenn das Recht nur punktuell über Gutachten hineingeholt, anstatt dauerhaft als Wissenschaft vertreten zu sein? Wann kommt die Binnendifferenzierung von ELSI-Projekten stärker zum Tragen als das Ganze und wann andersherum? Gibt es überhaupt so etwas wie einen einheitlichen Kern an ELSI-Erfahrungen?

Probehalber formuliert, könnte der Erfahrungsraum von ELSI-Forschung durch einen ambivalenten Befund gekennzeichnet sein. So nehmen sich Forschende in mithin sehr unterschiedlichen ‚Funktionsbestimmungen‘ wahr, wenn sie sich als Feigenblätter zur Legitimation ethisch, rechtlich oder sozial problematischer Forschung der Lebens-, Informations- und Technikwissenschaften erleben, sich als Kontrollierende oder Verhindernde angefeindet sehen, den Eindruck haben, am ‚langen Arm verhungern‘ oder ständig um Anerkennung kämpfen zu müssen oder schließlich als Ideengeber*innen oder Ermöglichungsinstanzen interdisziplinäre Kooperation und mitunter sogar Wertschätzung erfahren. Neben diese immer wieder als konfliktträchtig erlebte Austauschbeziehung zwischen den Lebens-, Informations- und Technikwissenschaften und ELSI tritt dann noch die Beziehung zur Politik, von der ebenfalls spezifische und durchaus konträre Erwartungen ausgehen. Welche Erfahrungen tatsächlich gemacht werden, könnte nicht zuletzt am Ausmaß der Machtungleichheit zwischen oft kleinen ELSI-Teilprojekten und großen Hauptprojekten sowie an den Funktionszuschreibungen von innerhalb wie außerhalb des Projektzusammenhangs liegen.

Die Dimensionen und Ausprägungen der ELSI-Erfahrungen zu sammeln, ihre Bedingungen zu ermitteln und die Spielräume auszuloten, ist der Zweck des Workshops auf Gut Schönwag. Dabei soll unter ELSI-Forschung solche verstanden werden, die zwei Merkmale aufweist: Sie wird erstens projektorientiert durchgeführt, d.h. sie ist auf einen konkreten Gegenstand orientiert, der zeitgleich von der lebens-, informations- und technikwissenschaftlichen Forschung bearbeitet wird, und durch Fördermittel zeitlich befristet. ELSI-Forschung impliziert zweitens eine für die Projektlaufzeit geltende soziale Verklammerung mit den lebens-, informations- und technikwissenschaftlichen Fächern. Ausgehend von dieser Eingrenzung, stehen zur Sondierung des ELSI-Erfahrungsraumes und seiner Entwicklung zum einen – retrospektiv – Forschungsprojekte aus nunmehr fast 35 Jahren zur Verfügung. Zum anderen lädt die neuere Entwicklung in Wissenschaftsforschung und Wissenschaftstheorie – prospektiv – auch zu konzeptionellen Neuüberlegungen ein.

Aus dem Vorstehenden lassen sich für die vorzunehmende Kartierung folgende Leitfragen generieren:

1.         Wie lassen sich die Erfahrungen mit ELSI-Projekten systematisieren bzw. generalisieren und, wenn nicht, was sind die Bedingungen der Unterschiede?

2.         Inwieweit lässt sich die ELSI-Forschung sowohl in der Binnen- als auch in der Außen-/Bezugsperspektive als interdisziplinäre Forschung verstehen?

3.         Welche transdisziplinären Bezüge lassen sich aus Erfahrungen der ELSI-Forschung erkennen?

4.         Wo und seit wann gibt es empirische Anteile innerhalb von ELSI-Forschung und inwieweit generieren sie einen eigenständigen Forschungsgegenstand?

Auf dem Workshop sollen fortgeschrittene Skizzen für Papers zum Tagungsthema vorgestellt und diskutiert werden. Dabei interessiert sowohl der interperspektivische (Lebens-, Informations- und Technikwissenschaften sowie ELSI) als auch der intraperspektivische (Ethik, Rechts- und Sozialwissenschaften) Blick. Die entstehenden Beiträge sollen in einem Sammelband oder einem Zeitschriftensonderheft publiziert werden. Der Kontakt zum Campus-Verlag besteht.

Bitte senden Sie Ihr Abstract im Umfang von 2.500 Zeichen bis zum 31. Januar 2024 an elsischoenwag@gmail.com. Über die Annahme wird zeitnah entschieden. Um den Workshop-Charakter zu fördern, ist geplant, die Skizzen der Beiträge den Eingeladenen im Voraus zugänglich zu machen. Dafür bitten wir um eine Einsendung bis zum 30. April 2024. Der Umfang beträgt 15.000 Zeichen ohne Literatur. Für alle Eingeladenen können die Fahrt- und Übernachtungskosten übernommen werden. Die Publikation ist für das Frühjahr 2025 geplant.

Organisation: Prof. Dr. Reiner Anselm (LMU München), Prof. Dr. Oliver Dimbath (Universität Koblenz), Arne Dreßler (LMU München), Dr. Therese Feiler (LMU München), Dr. Yannick Schlote


Kontakt:
Arne Dreßler
Mail: arne.dressler@lmu.de